Entfernungspauschale: Wann ist die tatsächlich benutzte längere Fahrtstrecke ansetzbar?
| Grundsätzlich kann die Entfernungspauschale nur für die kürzeste Entfernung beansprucht werden. Etwas anderes gilt aber, wenn eine andere Verbindung offensichtlich verkehrsgünstiger ist und vom Arbeitnehmer regelmäßig benutzt wird (§ 9 Abs. 1 Nr. 4 S. 4 Einkommensteuergesetz). Wann dies der Fall ist, musste jüngst das Finanzgericht Niedersachsen entscheiden. |
Hintergrund
Für die Fahrten zwischen der Wohnung und der ersten Tätigkeitsstätte können Steuerpflichtige die Entfernungspauschale steuermindernd als Werbungskosten ansetzen. Für 2022 bis 2026 gilt ab dem 21. Entfernungskilometer eine erhöhte Entfernungspauschale i. H. von 0,38 EUR. Für die ersten 20 Kilometer erfolgte allerdings keine Anpassung. Hier gelten somit weiterhin 0,30 EUR.
Entscheidung
Eine Straßenverbindung ist dann als verkehrsgünstiger als die kürzeste Verbindung zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte anzusehen, wenn der Arbeitnehmer eine andere (längere) Straßenverbindung nutzt und er die Arbeitsstätte auf diese Weise trotz gelegentlicher Verkehrsstörungen in der Regel schneller und pünktlicher erreicht.
„Offensichtlich” verkehrsgünstiger ist die vom Arbeitnehmer gewählte Straßenverbindung dann, wenn ihre Vorteilhaftigkeit so auf der Hand liegt, dass sich auch ein unvoreingenommener, verständiger Verkehrsteilnehmer unter den gegebenen Verkehrsverhältnissen für die Benutzung der Strecke entschieden hätte. Dass bei extremen Stauverhältnissen die Umwegstrecke auch mal verkehrsgünstiger und schneller sein kann, reicht insoweit nicht aus.
Allein die höhere Zahl der Ampeln und die erforderliche Fahrt durch die Innenstadt bei Benutzung der kürzeren Strecke kommen im Rahmen der Würdigung aller Umstände des Einzelfalls keine entscheidende Bedeutung zu. Das Finanzgericht Niedersachsen führte aus: Die Indizwirkung der nicht feststellbaren regelmäßigen Fahrzeitverkürzung der längeren Strecke bzw. die im Regelfall sogar erhebliche Fahrzeitverkürzung der kürzeren Strecke bei normaler üblicher Verkehrslage überlagert im Rahmen der Gesamtbewertung mögliche Beeinträchtigungen durch Ampelschaltungen oder Innenstadtfahrten.
Krankheitsgründe können grundsätzlich gegen die Zumutbarkeit der Benutzung der kürzeren Fahrtstrecke sprechen (Entscheidung des Finanzgerichts Hamburg bei amtsärztlich attestierter Höhenangst und Fahrt über eine Brücke).
Beachten Sie | Die im Streitfall nicht weiter belegte erhöhte Unfallgefahr auf der kürzeren Fahrtstrecke sowie eine dargelegte Erforderlichkeit von planbaren Pausen wegen Rückenleidens bzw. Schwerbehinderung reichen allerdings nicht aus, damit die Benutzung der kürzeren Fahrtstrecke als unzumutbar angesehen werden kann. Dies gilt zumindest dann, wenn der Steuerpflichtige (wie im Streitfall) infolge eines Standortwechsels des Arbeitgebers in einem späteren Veranlagungszeitraum einen Großteil der kürzeren Fahrtstrecke dann tatsächlich nutzt.
Quelle | FG Niedersachsen, Urteil vom 3.4.2024, Az. 9 K 117/21, unter www.iww.de, Abruf-Nr. 243441; FG Hamburg, Urteil vom 24.3.2003, Az. II 61/02