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I:expertise Beiträge

Vorlage an Europäischen Gerichtshof: Gutglaubensschutz bereits im Festsetzungsverfahren?

 

| Der Bundesfinanzhof hat dem Europäischen Gerichtshof die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob es unionsrechtlich zulässig ist, den guten Glauben des Steuerpflichtigen nicht bereits im Steuerfestsetzungsverfahren, sondern erst in einem späteren, gesonderten Billigkeitsverfahren zu schützen. |

 

Sachverhalt

Eine u. a. mit Uhren handelnde GmbH wandte in ihren Umsatzsteuererklärungen auf einen Teil der Umsätze die Differenzbesteuerung (§ 25a des Umsatzsteuergesetzes) an, bei der nicht der gesamte Verkaufspreis der Uhr, sondern nur die Differenz zwischen dem Verkaufs- und dem Einkaufspreis der Umsatzsteuer unterworfen wird. 

 

Beachten Sie | Dies ist u. a. möglich, wenn der Vorlieferant, der der GmbH die Uhr verkauft hat, ebenfalls ein Wiederverkäufer ist. In den Fällen, in denen die Vorlieferanten in ihren Rechnungen an die GmbH angegeben hatten, dass dies in Bezug auf die gelieferten Uhren der Fall sei, wandte die GmbH die Differenzbesteuerung an.

 

Nachdem das Finanzamt festgestellt hatte, dass die Angaben der Vorlieferanten in den Rechnungen teilweise unzutreffend waren, berief sich die GmbH darauf, dass sie gutgläubig gewesen sei und berechtigterweise auf die Angaben ihrer Vorlieferanten habe vertrauen dürfen.

 

Das Finanzamt setzte die Umsatzsteuer gleichwohl höher fest, was das Finanzgericht Sachsen bestätigte. Das Finanzgericht nahm an, dass es nicht prüfen müsse, ob die GmbH tatsächlich gutgläubig gewesen sei, weil sich die GmbH im Klageverfahren gegen den Umsatzsteuerbescheid (dem Festsetzungsverfahren) nicht auf ihren angeblichen guten Glauben berufen dürfe. Hierzu müsse ein gesondertes Billigkeitsverfahren (z. B. Antrag auf Erlass der Umsatzsteuer) durchgeführt werden.

 

Der Bundesfinanzhof hält es nun für unionsrechtlich zweifelhaft, ob es Deutschland erlaubt ist, den Steuerpflichtigen zum Schutz seines guten Glaubens auf ein Billigkeitsverfahren zu verweisen. Das Gericht hält es für möglich, dass dem Steuerpflichtigen kein weiteres Verfahren zugemutet werden darf, weil ihm ein weiteres Verfahren hinsichtlich seiner Länge, Komplexität und der damit verbundenen Kosten unverhältnismäßige Schwierigkeiten bereitet. 

 

Als besonders kritisch sieht der Bundesfinanzhof die erhebliche Verlängerung der Gesamtverfahrensdauer sowie das doppelte Kostenrisiko an, das ein Steuerpflichtiger eingehen muss, wenn er zunächst ein Klageverfahren gegen die Steuerfestsetzung und (zeitlich daran anschließend) ein Klageverfahren gegen eine ablehnende Billigkeitsentscheidung anstrengen muss.

 

Beachten Sie | Bereits zwei Mal hatte der Bundesfinanzhof dem Europäischen Gerichtshof in anderen Konstellationen eine ähnliche Frage gestellt. In beiden Fällen musste die Frage aber nicht mehr beantwortet werden, weil es aus anderen Gründen nicht mehr darauf ankam. Daher hat der Bundesfinanzhof die Frage dem Europäischen Gerichtshof nun ein drittes Mal vorgelegt. Die Antwort könnte für das gesamte Umsatzsteuerrecht (und nicht nur für die Differenzbesteuerung) von Bedeutung sein.

 

Quelle | BFH, Beschluss vom 19.2.2025, Az. XI R 23/24, unter www.iww.de, Abruf-Nr. 249400; BFH, PM Nr. 51/25 vom 31.7.2025